Die Regenbogenfahne im Bauernkrieg

Bildmontage: Kupferstich vom Theologen und Revolutionär Thomas Müntzer (Bauernkrieg 1525) vor einer modernen Regenbogenfahne (Bilder: Wikimedia Commons, gemeinfrei)
Kupferstich des Theologen und Revolutionärs Thomas Müntzer vor einer Regenbogenfahne (Bilder: Wikimedia Commons/gemeinfrei; eigene Bildmontage)
Im Bauernkrieg von 1525 spielt eine Regenbogenfahne eine wichtige Rolle. Die Parallelen zum Heute sind erstaunlich.

Auf einen Klick: Bund mit Gott // Soziale Zeitenwende // Fahne des Grundgesetzes // Gegen die Feudalherren von heute

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Spannendes lauert manchmal dort, wo man es eher nicht vermutet. Im Plieningen Journal zum Beispiel, einer beschaulichen Stuttgarter Stadtteilzeitung. Darin ging es neulich um den Deutschen Bauernkrieg von 1525, der sich dieses Jahr zum 500. Mal jährt, und um eine zentrale Figur dieses Krieges, den Theologen und Bauernführer Thomas Müntzer. „Mit der Regenbogenfahne als Zeichen der Hoffnung zog er in den Kampf – gegen Feudalherren, und gegen das Unrecht seiner Zeit“, steht dort.

„Meinen Bogen setze ich in die Wolken“

Ganz so ist es nicht. Die Regenbogenfahne von Müntzer und seinem Bauernheer (hier in einer Nachbildung) ähnelt dem, was man heute unter dem Begriff „Regenbogenfahne“ (samt der progressiv-inklusiveren Varianten) vor allem versteht, nur insofern, als ein Regenbogen Teil der weiß grundierten Fahne war; nicht die gesamte Fahne war in Regenbogenfarben gehalten.

„Darum ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.“

Zudem wies sie Text auf. Unter dem Regenbogen stand das lateinische Bibelwort „Verbum domini maneat in etternum“ („Das Wort des Herrn bleibe in Ewigkeit“) und darunter – übersetzt ins heutige Deutsch – „Dies ist das Zeichen des ewigen Bundes Gottes“. Das ist ein Verweis auf das Alte Testament (Genesis 9,9–17), besonders auf Genesis 9,13: „Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde.“

In einem Beitrag für den Sammelband Bauernkrieg zwischen Harz und Thüringer Wald 1525 schreibt 2005 der Historiker Rainer Wohlfeil, der Regenbogen „war vielen Zeitgenossen vertraut als Zeichen der göttlichen Herrlichkeit […], als Sinnbild für Phänomene der Schöpfung und des Friedens.“

Soziale Zeitenwende

Trotz der deutlichen optischen Unterschiede ist es bemerkenswert und mag mit Blick aufs Heute kraftspendend sein, dass man bereits 1525 mit einer Regenbogenfahne in den Kampf gegen gesellschaftliche Unterdrückung zog. Darum ging es Müntzer und den Bäuer*innen besonders. Neben der Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Existenz hätten sie nichts Geringeres als eine „soziale Zeitenwende“ im Sinn gehabt, so Wohlfeil. Müntzer gilt auch als Sozialrevolutionär.

Programmatisch maßgeblich für die meisten Aufständischen waren die Zwölf Artikel, die sich als Angriff auf feudale Ausbeutungs- und Kontrollsysteme lesen lassen. Mit Blick auf die bäuerliche Leibeigenschaft heißt es zum Beispiel im dritten Artikel unter Bezugnahme auf die Bibel (übersetzt ins heutige Deutsch): „Darum ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.“ Die Zwölf Artikel werden heute als eine der ersten schriftlich festgehaltenen Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa angesehen.

Fahne des Grundgesetzes

Menschen- und Freiheitsrechte sind auch das, was in den vergangenen Jahrzehnten unter Regenbogenfahnen erstritten wurde, vor allem hinsichtlich geschlechtlicher und sexueller Realitäten, die von Normvorstellungen abweichen. Die Fahne ist ein Zeichen des Aufbruchs und des Fortschritts, hin zu einer für alle gerechteren Welt, besonders mit Blick auf queeres Leben.

Die Journalistin Nadine Lange schreibt im Tagesspiegel, Regenbogenflaggen seien „Zeichen einer gesellschaftlichen Emanzipation, zu der es niemals durch stilles Im-Kämmerlein-Sitzen gekommen wäre.“ Und dort schreibt auch der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano: „Wir haben uns Sichtbarkeit und Selbstbestimmung erkämpft – mit unserer Regenbogenfahne in der Hand, […].“ Auf Bluesky las ich kürzlich, dass die Regenbogenfahne wie kaum eine andere für die Grundwerte der deutschen Verfassung stehe.

„Ich jedenfalls muss nun auch an die kämpferischen Bäuer*innen von 1525 denken, wenn auf Demos Regenbogenfahnen zu sehen sind.“

Thomas Müntzer, der gottesfürchtige Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, wäre wohl nicht mit jedem der errungenen Fortschritte der zurückliegenden Jahrzehnte einverstanden, würde sich vielleicht aber darüber freuen, dass Regenbogenfahnen auch in heutigen Gerechtigkeitskämpfen ganz vorn wehen.

Es verwundert, dass sich diese symbolischen und inhaltlichen Parallelen in Texten zur 500. Jährung des Bauernkriegs offenbar nicht erwähnt finden. Selbst dann nicht, wenn auf Müntzers Regenbogenfahne ausführlicher eingegangen wird, wie im Text „Mistgabeln unterm Regenbogen“ von Edith Kresta in der taz. Die Parallelen liegen auf der Hand.

Gegen die Feudalherren von heute

Sicher, die Tatsache, dass der Aufstand sehr schnell und sehr vernichtend geschlagen, Müntzer gefoltert und geköpft wurde – und wohl auch die Regenbogenfahne kein gutes Ende fand –, mag nicht die allergrößte Motivation für heutige Kämpfe spenden. Dennoch findet sich hier eine Traditionslinie im Kampf gegen Obrigkeiten, eine Geschichte gesellschaftlichen Widerstands, die der Gegenwart Kraft geben kann. Ich jedenfalls muss nun auch an die kämpferischen Bäuer*innen von 1525 denken, wenn auf Demos Regenbogenfahnen zu sehen sind.

Der eingangs zitierte Satz aus dem Plieningen Journal ist sehr aktuell, selbst wenn er etwas meint, das vor 500 Jahren geschah. Gegen „Feudalherren, und gegen das Unrecht seiner Zeit“ sei Müntzer mit der Regenbogenfahne gezogen. Ist das heute nicht ähnlich? Unrecht gibt es immer, Feudalherren im Grunde auch, bloß heißen sie jetzt anders. Und es scheint, als nähme ihre Zahl auch in westlichen Demokratien zu. Technologie-Fürsten und Faschisten wie Elon Musk oder Peter Thiel sind nur die Spitze des Eisbergs.

„Fünf Jahrhunderte später sind weiterhin die Falschen an der Macht“, heißt es in einem Text der taz zum Bauernkrieg. Die Regenbogenfahne wird noch gebraucht. ◆

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