Mother of Madness: Menstruation und Superkräfte

M.O.M.-Hauptfigur Maya Kuyper in ihrem orange-blauen Superheldinnen-Anzug vor pinkem Hintergrund. Ihre blaue Maske/Mütze hat sie halb abgestreift, ein Auge ist zu sehen. Aus diesem schießen gelbe Energieblitze in alle Richtungen. Maya macht ein fragend-ängstliches Gesicht.
Bild: Image Comics
Filmstar Emilia Clarke hat einen Comic über eine alleinerziehende Superheldin mit Angststörungen geschrieben. Das Ergebnis ist sehr charmant – und wäre noch besser, gäbe es nicht einen Widerspruch.

Auf einen Klick: Kraft durch Menstruation // Ein Millenial-Comic // Zu normschön // Spielt Emilia Clarke ihre Figur selbst?

Ein Text von:

Die Rolle von Müttern in Superheld*innen-Geschichten ist selten glorreich. Im besten Fall beraten sie ihre Held*innen-Kinder (Wonder Womans Mutter Hyppolyta); im schlechtesten motivieren sie andere durch ihren Tod (Batmans Mutter Martha Wayne). Wenn Protagonist*innen mit übernatürlichen Kräften dann doch einmal selbst Kinder bekommen, geht es oft tragisch aus. Mutterschaft und Superheld*innentum – so scheint es – vertragen sich nicht gut.

M.O.M.: Mother of Madness, ein dieses Jahr bei Carlsen erstmals auf Deutsch erschienenes Comic, möchte offenbar das Gegenteil beweisen. Autorin Marguerite Bennett und Game of Thrones-Schauspielerin Emilia Clarke haben sich mit Illustratorin Leila Leiz zusammengetan, um die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter mit Superkräften zu erzählen, die auch im Jahr 2040 noch mit Sexismus und den Untiefen des kapitalistischen Wirtschaftssystems zu kämpfen hat.

Besonders stark sind ihre Kräfte, wenn sie menstruiert

Die Prämisse: Hauptfigur Maya Kuyper bekommt nach dem Tod ihrer Eltern und einem Suizidversuch mit unbekannten Labor-Tabletten übernatürliche Fähigkeiten. Scheinbar zufällig wird sie unsichtbar oder schießt mit Feuer um sich. Besonders stark sind ihre Kräfte, wenn sie menstruiert.

Auch jenseits ihrer neuen übernatürlichen Herausforderung ist ihr Leben aufreibend. Ihre Vorgesetzten nehmen sie nicht ernst, auf ihr lastet der permanente Druck, einem bestimmten Bild von Weiblichkeit zu entsprechen, und der Vater ihres Sohnes versucht, sich nach Jahren der Abwesenheit wieder in ihr Leben zu zwängen.

„Hier und da verprügelt sie Bösewicht*innen, weiß aber auch: Ihr eigentlicher Gegner ist das Patriarchat.“

Aber weil ihre Eltern ihr als Kind erklärt haben, dass „wir […] auf der Welt“ sind, „um anderen zu helfen“, beschließt sie, neben ihrer Tätigkeit als Wissenschaftlerin Superheldin zu werden und schlüpft in einen Anzug, der teils an mexikanisches Wrestling, teils an punkige Vorstadt-Jogging-Outfits erinnert. Hier und da verprügelt sie Bösewicht*innen, weiß aber auch: Ihr eigentlicher Gegner ist das Patriarchat.

Collage aus dem Comic: In der Mitte steht Maya Kuyper in ihrem Anzug, Feuerblitze schießen aus den Augen ihrer Maske. Links ist Maya mit Laborkittel und Spritze zu sehen. Rechts sitzt die Bösewichtin des Comics in einem großen Bürosessel. Im Hintergrund explodiert ein Fahrzeug. Oben links steht: M.O.M. is coming.
Bild: Image Comics

Ein Millenial-Comic

„You should have a codename“, erklärt Spider-Girl im Marvel-Comic Amazing Spider-Man. Renew Your Vows #5 (2015) ihrer Mutter. „I already got one“, entgegnet diese: „‚Mom‘!“. Benetts und Clarkes M.O.M. erinnert vom Ton her sehr an diese Szene. Es ist eine kathartisch-empowernde Machtfantasie, zugespitzt für Millenials Anfang 30.

Dass die beiden Autorinnen in den 80er-Jahren geboren sind, merkt man schon ab Seite eins deutlich. Ihre Protagonistin mag Ruth Bader Ginsburg, schaut zu viele Cartoons und Einrichtungs-Shows, besitzt ein privates Sportgerät, das sie zu wenig benutzt, und leidet unter Angststörungen.

„Wir haben es mit einer Superheld*innen-Parodie zu tun, die mehr sein möchte als ihre Vorlagen.“

Für die Generation, die mit selbstreferenziellem Humor à la Simpsons aufgewachsen ist, werden außerdem großzügig Anspielungen auf andere Medien und Kunstformen gestreut. So finden sich etwa anhand von Gemälden der Maler Jan Vermeer und Jean-Auguste-Dominique Ingres gängige Schönheitsideale hinterfragt.

In klassischer Superheld*innen-Manier sterben die Eltern der Hauptfigur. Und auch die oben genannte „We were put into this world to help each other“-Catch-Phrase entlehnt sich vermutlich aus Spider-Mans „With great power comes great responsibilty“-Origin-Story. Am Ende macht eine selbstironische Anmerkung über Marvel-Filme klar: Wir haben es mit einer Superheld*innen-Parodie zu tun, die mehr sein möchte als ihre Vorlagen.

Rückblick-Szene aus dem Comic, dunkle Farben: Die junge Maya Kuyper steht auf einem Friedhof und schaut die Leser*innen an. Ihr Gesicht ist verweint-verregnet. Neben ihr drei Sprechblasen, in denen steht: „Look... I promise this gets funnier. But right now, we have some obligational expositional backstorying to get through. You did twenty-two Marvel movies — you can give me five pages.“
Bild: Image Comics

Meistens funktioniert das sehr gut. Nach einer etwas hölzernen Exposition im ersten Heft lesen sich die Dialoge ab M.O.M. #2 flüssig und charmant. Man beginnt, sich mehr für Mayas Freund*innenkreis zu interessieren und fiebert mit, wenn sich ihr Sohn in Gefahr begibt. Drachen, mutierte Achselhaare und ein nachhaltiges Super-Auto sorgen für absurden Spaß.

Schnell erzählte Superheld*innen-Action-Szenen wechseln sich ab mit ruhigeren Gesprächen über überzogene gesellschaftliche Ansprüche, mit denkwürdigen Sätzen wie „Look, gender is a scam.“

Zu normschön

Was dabei gelegentlich stört, ist das Artwork. Die französische Illustratorin Leila Leiz arbeitet seit den Nullerjahren an unterschiedlichen europäischen Comics und scheint sich auf eine bestimmte Form des weiblichen Körpers spezialisiert zu haben. Ihr Pin-Up-Stil passt hervorragend zu den Action-Szenen in M.O.M. oder dem bald erscheinenden Knight Terrors: Catwoman, widerspricht aber mit seinen Darstellungen von überwiegend normschönen Körpern oft den feministisch-emanzipatorischen Aussagen der Figuren.

Im Missy Magazine schreibt Avan Weis zum ersten Band: „Maya entspricht […] immer noch sehr dem westlichen Schönheitsideal, BIPoC, queere und behinderte Charaktere sind nur Nebenfiguren […].“

Wird es eine Filmadaption geben?

Wenn namhafte Schauspieler*innen Comics schreiben, liegt die Frage nahe, ob das Ganze von Anfang an als eine Verfilmung angelegt war. Illustrierte Miniserien sind vergleichsweise günstig zu produzieren und eine gute Möglichkeit, um vorzufühlen, wie gut Setting und Ton einer Geschichte ankommen.

Ende der Nullerjahre publizierte der Verlag Oni Press die Spionage-Graphic-Novel Frenemy of the State von Parks and Recreation-Schauspieler Rashida Jones. Kurze Zeit später erwarb Universal Pictures die Rechte für eine Adaption. Das Projekt scheint nie tatsächlich umgesetzt worden zu sein, aber seit dem Verfilmungshype der 2010er-Jahre hat sich einiges geändert.

2019 erschien auf Netflix The Umbrella Academy, basierend auf einem Comic von Gerard Way, dem Frontsänger der Band My Chemical Romance. 2021 kündigte der Streamingdienst außerdem an, die von John Wick-SchauspielerKeanu Reeves mitgeschriebene BRZRKR-Reihe verfilmen zu wollen. Vor dem Hintergrund, dass der Titelheld Reeves äußerlich sehr ähnelt, kann man durchaus annehmen, dass das schon geplant war, bevor das Comic in Produktion ging.

Über eine Adaption von M.O.M.: Mother of Madness lässt sich bisher nur spekulieren. Angesichts des aktuellen Hypes, sowohl in Bezug auf Superheld*innen als auch Emilia Clarke (sie ist zur Zeit in den drei großen Franchises Star Wars, Marvel und Game of Thrones zu sehen), haben Produzent*innen darüber aber sicherlich schon einmal nachgedacht. Ein wenig sieht Clarke ihrer Hauptfigur Maya Kuyper auch ähnlich, sodass sie keine unwahrscheinliche Besetzung in einer möglichen Comic-Verfilmung wäre. ◆

Marguerite Bennett, Emilia Clarke, Leila Leiz: M.O.M.: Mother of Madness #1-3, Image Comics, Portland, 2021. Die deutsche Übersetzung des ersten Bandes erschien 2023 bei Carlsen.

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