Die unverzeihliche Sünde einer trans Frau

Comic-Szene: Vor nächtlich beleuchteter Stadt ist die Hauptfigur Red Hood von vorn zu sehen. Er hat Pflaster im Gesicht. (Bild: Jeff Spokes/DC Comics)
Szene aus dem zurückgerufenen Red-Hood-Comic (Bild: Jeff Spokes/DC Comics)
Der Mord am Rechtsextremen Charlie Kirk zieht einen Rachefeldzug nach sich. Dem zum Opfer fällt auch die Autorin Gretchen Felker-Martin, von der eine neue Comic-Serie erscheinen sollte. Am Fall lässt sich etwas über Doppelstandards und Kulturkampf lernen.

Auf einen Klick: Kündigungswelle in der Unterhaltungsbranche // „Hope the bullet’s okay“ // Batmans Ex-Gehilfe Red Hood // Konservativ und extravagant zugleich // Aushandlung des Sag- und Sichtbaren

Ein Text von:

Manchmal vergesse ich, dass Massenkultur kein Safe Space ist, sondern ein Schlachtfeld des Kulturkampfs. Schon oft habe ich popkulturelle Nischen gefunden, die mir Trost spendeten, etwas beibrachten oder Zugehörigkeit vermittelten. In solchen Momenten kann ich sehr gut ignorieren, dass außerhalb meiner spielerischen Oasen ein Krieg über das Sag- und Sichtbare ausgetragen wird. 

Am 10. September 2025 wurde der rechtsextreme Podcaster Charlie Kirk erschossen, der Inhalte der aktuellen US-amerikanischen Trump-Regierung erheblich mitgestaltete. Was darauf folgte – und nach wie vor folgt – ist ein Rachefeldzug gegen „die radikale Linke“, die Kirks Tod, so der Vorwurf, nicht angemessen betrauert habe. Schon jetzt hat dieser Feldzug viele Opfer gefordert.

Kündigungswelle in der Unterhaltungsbranche

Zu den bekanntesten zählt der Entertainer Jimmy Kimmel. Auf Druck der Trump-Regierung setzte der zu Disney gehörende Sender ABC die Ausstrahlung der Show Jimmy Kimmel Live vom 15. bis 22. September aus, nachdem ihr Host sich zum Mord an Kirk geäußert hatte. Mittlerweile ist die Suspendierung wieder vollständig aufgehoben.

Der breite gesellschaftliche Protest und die Boykott-Aktionen gegen Disney+ hatten allem Anschein nach Erfolg. Auch wenn es nur ein Vorwand gewesen sein dürfte, war wohl entscheidend für den Ausstrahlungsstop Kimmels Aussage, dass die Anhänger der Regierung Kirks Tod politisch für sich nutzen wollen. Alles, was seitdem passiert ist, scheint ihm recht zu geben.

Kimmel ist kein Einzelfall. In der Unterhaltungsindustrie und anderen Bereichen haben so viele Menschen wegen Posts zu Kirks Tod Repressalien erfahren, dass es bereits einen eigenen Wikipedia-Artikel dazu gibt. Die Journalist*innen Karen Attiah (The Washington Post) und Matthew Dowd (MSNBC) wurden gekündigt; der Sport-Nachrichtendienst PHNX Sports trennte sich von Reporter Gerald Bourguet; Drew Harrison, eine Mitarbeiterin beim Spieleentwickler Sucker Punch, verlor ihren Job ebenfalls wegen eines Online-Kommentars zu Kirks Tod.

„Hope the bullet’s okay“

Auch an der Superheld*innen-Comic-Industrie geht das Ganze nicht spurlos vorbei. „Hope the bullet’s okay after touching Charlie Kirk“, schrieb die Autorin Gretchen Felker-Martin in einem inzwischen gelöschten Post auf der Social-Media-Plattform Bluesky, als die ersten Medien über das Attentat berichteten. Auch zu „Thoughts and prayers you Nazi bitch“ ließ sie sich laut The Hollywood Reporter hinreißen.

Felker-Martin ist trans. Das ist wichtig, denn vor diesem Hintergrund ist nicht nur ihre Äußerung zu lesen, sondern auch der Gegenwind einzuordnen, den sie erfährt. Für Menschen wie Gretchen Felker-Martin stellen Rechtsextreme wie Charlie Kirk eine Gefahr für Leib und Leben dar.

Zu Kirks vielen problematischen Aussagen gehört etwa die Forderung, Ärzt*innen, die geschlechtsangleichende Operationen anbieten, so zu verurteilen wie Nazis bei den Nürnberger Prozessen. Außerdem hat Kirk Bibelstellen zitiert, in denen Männer, die Frauenklamotten tragen, als „Gräuel“ bezeichnet werden.

Batmans Ex-Gehilfe Red Hood

Am Tag von Kirks Ermordung erschien beim Verlag DC Comics das erste Heft einer neuen Red-HoodReihe. Darin wird der ehemalige Batman-Gehilfe Red Hood in eine Verschwörung rund um einen Serienkiller mit Superkräften verstrickt. Geschrieben hat die Serie Felker-Martin. Im Comic-Bereich ist das ihr erster größerer Job gewesen, sie ist primär als Autorin von queerem Horror bekannt (2022 erschien der Bestseller Manhunt).

Ihr Karrierestart in der Superheld*innen-Welt fand allerdings noch am selben Tag ein Ende, zumindest ein vorläufiges. Wegen ihres Kommentars zu Kirk beendete DC die Zusammenarbeit mit sofortiger Wirkung. Das bereits erschienene erste Heft wurde zurückgerufen – eine Praxis, die man vor allem bei Lebensmitteln mit gesundheitlichen Risiken kennt. DC erstattete Comic-Läden alle Bestellungen, inklusive der Exemplare, die dort bereits über die Ladentheke gingen. Aktuell lässt sich das Heft im Handel weder gedruckt noch digital legal erwerben. Insgesamt ein wohl beispielloser Vorgang.

„Jede Figur oder Mitarbeiter*in, der*die kein weißer Mann ist, wurde hart erkämpft und bringt meistens einen Wirbelsturm an Debatten mit sich.“

Wer es lesen will, muss auf Ebay nach einer der nun im Wert deutlich gestiegenen Ausgaben suchen, die vor dem Rückruf gekauft wurden, oder dubiose Websites durchwühlen. „Ich muss das lesen“, schreibt ein Fan in Englisch auf Bluesky. „Sollte man es kaufen, um seine Unterstützung zu zeigen?“ Felker-Martins Antwort fällt kurz aus: „Klau es.“

Konservativ und extravagant zugleich

Superheld*innen-Mainstreamkultur hat schon immer unterschiedliche Gruppen von Menschen angesprochen, weil sie konservative Stereotype bedient, gleichzeitig seit jeher aber auch absurd, extravagant und farbenfroh ist. Gerade deshalb eignen sich die Industrie, die Fans und das Drumherum als Prototyp für Kulturkämpfe. Jede Figur oder Mitarbeiter*in, der*die kein weißer Mann ist, wurde hart erkämpft und bringt meistens einen Wirbelsturm an Debatten mit sich.

Felker-Martin wusste das. „Sie werden nach meinem und deinem Kopf schreien“, hatte sie der DC-Redakteurin gesagt, als die ihr die Red-Hood-Serie anbot. Ermahnungen aus dem Verlag gab es wegen ihrer Posts zur israelischen Regierung schon kurz nach Beginn der Zusammenarbeit. Und bereits vor ihren Kommentaren zu Kirk riefen Internet-Trolle zum Boykott auf.

Viele Publikumsbewertungen des Comics fallen unterdurchschnittlich aus, obwohl ihn wegen des Rückrufs nur wenige gelesen haben können. Als die Kündigung von Felker-Martin bekannt wurde, schrieb ein bekennender Anhänger der rechtsradikalen Schikanierungskampagne #Comicsgate: „Das ist nur der Anfang.“

Man könnte fast das Gefühl bekommen, es ginge nie darum, was wer wie zu Charlie Kirks Tod gesagt hat, sondern um etwas ganz anderes. Erst Mitte Juni erschoss ein Mann, der sich selbst als christlich-konservativ beschrieb, die Politikerin Melissa Hortman und deren Ehemann.

Beim Täter wurden eine Liste mit Politiker*innen aus dem linken Lager und Flyer gefunden, die sich gegen Anti-Trump-Proteste richteten. Ermittler*innen vermuten, dass der Täter plante, möglichst viele Abtreibungsbefürworter*innen und Anti-Trump-Demonstrant*innen zu erschießen. Als eine Reporterin des Senders CBS Donald Trump sechs Tage nach Kirks Tod auf Hortmans Ermordung ansprach, war dessen Antwort entlarvend: Er sei mit dem Fall „nicht vertraut“. 

Aushandlung des Sag- und Sichtbaren

Was nicht in die eigene Erzählung passt, wird kontrafaktisch ausgeblendet oder abgestritten. So kann die Trump-Regierung behaupten, trans Menschen und Antifaschist*innen seien Schuld an der meisten Gewalt, obwohl Statistiken deutlich das Gegenteil zeigen. Man konzentriert sich auf Einzelfälle, die ins Bild passen. Abgestraft wird nicht überparteilich, sondern je nach politischem Profil.

Das macht auch Gretchen Felker-Martin in einem späteren Post vom 17. September noch einmal deutlich. Mehrere islamophobe Autoren und Sexualstraftäter, die bei DC Comics angestellt waren und sind, verspürten nur einen Bruchteil der Konsequenzen, die Felker-Martin aktuell über sich ergehen lassen muss. Comics von Frank Miller und Neil Gaiman etwa sind nach wie vor problemlos zu kaufen.

„Ein unhöfliches, aggressives Großmaul und gleichzeitig trans zu sein, ist die einzige unverzeihliche Sünde“, schlussfolgert sie und kritisiert so die Doppelstandards, mit der nicht-männliche und insbesondere trans Menschen konfrontiert sind – gerade in der Unterhaltungsindustrie. Bei der Aushandlung des Sag- und Sichtbaren haben weiße cis Männer immer noch die besten Karten. ◆

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