Vor rund einem Jahrzehnt – oder vielleicht ist es noch länger her – habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, zu jedem Buch, das ich gelesen habe, eine kleine Besprechung zu schreiben. Sie dient mir vor allem als Erinnerungshilfe, aber auch als Mittel, mir bewusst zu machen, was ich gelesen habe.
Ich lese Bücher als Autorin und Privatperson, nicht als Feuilletonistin. Meine Kurzrezensionen, wie ich sie unbeholfen nenne, sind daher bloß ungeordnete Gedanken, die ich vor allem für meine Instagram-Follower aufschreibe. Hier auf vliestext finden sie nun auch ein Publikum.
Zuweilen fühlt sich dieser Akt des Nachdenkens und Schreibens wie eine Pflicht an, mit der ich einfach nur „durch“ sein möchte. Zum Glück aber nur zuweilen.
Alle Beiträge der Reihe „Durch!“ finden sich hier.
#5 Sofia Rönnow Pessah: Die Männer in meinem Leben
Die ersten hundert Seiten haben mich wegen ihrer Klischeehaftigkeit einigermaßen genervt. Die heilige Trias eines Sex-Journals: innere Leere, Alkoholexzess, beliebiges Herumvögeln. Die durchnummerierten Eroberungen der Erzählerin, für die beim Dating in einer klassisch männlichen Tradition Quantität über Qualität zu stehen scheint, sind so austauschbar, dass weder Spannung aufkommen noch Tiefe entstehen will.
In der Binnenlogik des Buches ist das durchaus plausibel, aber Plausibilität erzeugt nicht automatisch einen Sog beim Lesen, geschweige denn ein Interesse an den Figuren und der Handlung. Je ausführlicher die Erzählerin jedoch über ihre Begegnungen berichtet und je mehr sie in ihr Inneres blicken lässt, desto lesenswerter wurde die Lektüre. Die Autorin verhandelt das allzu menschliche Ganzkörpergefühl, nicht gut genug für diese Welt zu sein, und die innere Zerrissenheit, die daraus entsteht.
„Fast scheint es, als wäre es Frauen unmöglich, viel beliebigen Sex zu haben, ohne dass ein zentraler psychischer Konflikt zugrunde liegt.“
Da ist der Wunsch, selbstbewusst und souverän zu sein, und auf der anderen Seite die panische Angst davor, beim Abstecken von Grenzen der ersehnten Bestätigung verlustig zu gehen; oder die Lust, fremde Haut zu spüren, die sich mit den eigenen, vermeintlich nicht verhandelbaren Ansprüchen an Sexpartner duelliert. So wird mit Arschlöchern gevögelt und Unangenehmes ausgestanden, wenn auch nicht ausschließlich.
Die größte aller Sehnsüchte
Es gab immer wieder Passagen, in denen ich mich wiedererkannt habe und sich vermutlich viele Millionen Leute wiedererkennen würden, weil es, wie schon erwähnt, um zentrale menschliche Erfahrungen geht. Unter dem Gewand der Trivialität.
Trivial, weil Dating-Bücher ja per se bumsbanal und austauschbar sind, obwohl es dabei um nichts Geringeres geht als um die größte aller Sehnsüchte: der Wunsch, berührt zu werden. Sofia Rönnow Pessahs autofiktionales Buch ist vor allem eine Leidensgeschichte. Dating ist der Erzählerin ein verzweifeltes Heilsversprechen, obwohl sie statt Heilung vor allem Schmerz und Verletzungen erfährt.
Während und nach Beendigung der Lektüre habe ich wie so oft damit gehadert, dass Bücher über Dating erstens hauptsächlich von weiblich gelesenen Personen geschrieben werden und sie zweitens den Grundtenor des Schmerzes, der Leere, der Hoffnungslosigkeit, ewiger ungestillter Sehnsucht teilen. Fast scheint es, als wäre es Frauen unmöglich, viel beliebigen Sex zu haben, ohne dass ein zentraler psychischer Konflikt zugrunde liegt.
Dann allerdings habe ich mich gefragt, wie glaubwürdig es ist, ein persistierendes Bedürfnis nach exzessivem Dating und Herumvögeln, das höchstens kurzfristig zu stillen ist, anderswo anzusiedeln als bei inneren Leerstellen. Das Buch ist die Geschichte einer Stagnation, über die Unfähigkeit, einen Ausweg zu finden und alternative Strategien zu suchen, um eben diesen Leerstellen beizukommen.
Nicht wirklich feministisch
Was mir insgesamt gefehlt hat, war der biografische Hintergrund der Figur, der der Erzählerin mehr Tiefe verliehen hätte – vielleicht wäre ihr dadurch die Stereotypie-Falle erspart geblieben. Auch war mir einiges ein wenig zu ausbuchstabiert, was aber – um eine Lanze für die Autorin zu brechen – in der Sache der Natur der Autofiktion selbst liegt und den Lesenden hie und da immerhin ein paar sehr treffende Beobachtungen beschert.
Anders als es dem Buch angedichtet wird, ist es nicht wirklich feministisch (es fängt bereits damit an, dass die Erzählerin nur jene Begegnungen als Sex labelt, bei denen sie auch Geschlechtsverkehr hat), aber nichtsdestoweniger lesenswert. ◆
Sofia Rönnow Pessah: Die Männer in meinem Leben (aus dem Schwedischen von Leena Flegler), Ullstein, Berlin, 2021.
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