„Ich wollte ja alles vom Leben“

In dunkler Kleidung sitzt Sarah Lorenz vor einem Bücherregal in der Freiburger Buchhandlung Schwarz und liest aus ihrem Roman „Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ vor. (Foto: vliestext)
Sarah Lorenz in der Freiburger Buchhandlung Schwarz (Foto: vliestext)
In Freiburg las Sarah Lorenz aus ihrem Debütroman „Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“. Er ist autofiktional und eine Liebeserklärung an Mascha Kaléko. Herzen fliegen auch Lorenz zu.

Auf einen Klick: Im Buch ist viel los // Autofiktional, nicht autobiographisch // Lange Schlange

Ein Text von:

Bei Romanen vermisse ich eines selten: Inhaltsverzeichnisse. Meist liest man halt vor sich hin, passiert dabei, falls es sie gibt, Kapitelüberschriften und ist irgendwann durch. In der Regel ist das völlig okay so.

Bei Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken aber, dem Debütroman von Sarah Lorenz, vermisse ich ein Inhaltsverzeichnis. Und zwar eines, das neben Überschriften stichwortartig anzeigt, worum es in den Kapiteln geht, ähnlich zu einem Sachbuch. In Lorenz’ Roman geht es nämlich um eine Menge. „Ich wollte ja alles vom Leben“, sagt die Hauptfigur Elisa.

Geliefert hat das Leben dann unter anderem: ein verlorenes Zuhause und die Suche nach einem neuen, eine Punker-Jugend ab den späten 90er-Jahren, Heroin, Suizide, Angstzustände und die Angst vorm Angsthaben, Klassismus, ADHS, eine Krebserkrankung des Lebenspartners sowie den plötzlichen Tod des Vaters. Im Buch ist viel los, mitunter geht es hart zur Sache. Besonders Elisas Erlebnisse in der Punker- und Obdachlosen-Welt sind eindrücklich.

Schwer und leicht

Gleichzeitig ist es eine Geschichte vom Überleben und Davonkommen, vom Kraftfinden und Sichweiterentwickeln. Auch vom Genießen. Dank Büchern zum Beispiel. Oder der Liebe. Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken ist auf leichte Weise schwer – oder auf schwere Weise leicht.

Gedichte von Mascha Kaléko (1907-1975) spielen dabei eine wichtige Rolle. Bei keinem der Gedichte Kalékos, auch nicht den schweren, fühle man sich danach schlecht, sagt Sarah Lorenz auf einer Lesung in der Freiburger Buchhandlung Schwarz. Dort zu Gast war sie vergangenen Donnerstag und saß passenderweise vor einem Bücherregal, das mit „Geschichte & Gesellschaft“ überschriftet ist. Von beidem gibt es in Lorenz’ Roman viel. Er ist autofiktional angelegt und lässt sich in gewisser Weise als Gespräch zwischen der Autorin und der von ihr verehrten Mascha Kaléko lesen.

Jedem der etwa 20 Kapitel steht ein Gedicht Kalékos voran, zu dem die Autorin Lebenssituationen ihrer Hauptfigur Elisa in Beziehung setzt. Sicher, die verstorbene Kaléko kann darauf nicht antworten, viel zu sagen hätte sie der vom Leben gebeutelten Elisa aber wohl schon. Und Sarah Lorenz.

Das Leben resümieren

Wer ihr auf Instagram folgt, aktuell tun das knapp 18.000 Follower*innen, erkennt schnell, dass es zwischen der Autorin und ihrer Protagonistin eine große Ähnlichkeit zu geben scheint. An vielen Stellen des Romans musste ich an Fotos denken, die Lorenz auf Instagram geteilt hat, etwa aus ihrer Zeit als Punkerin.

Es braucht nicht viel Fantasie, um in Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken eine Autobiographie der 1984 geborenen Autorin zu sehen. Im Buch ist vom „Lebenresümieren“ die Rede. Vielleicht ist auch das ein Grund für den Erfolg des im Rowohlt Verlag erschienenen Romans, der zwei Wochen nach seinem Erscheinen bereits in die dritte Auflage geht. Er stellt, zumindest in Teilen, eine Literarisierung von Lorenz’ facettenreicher Social-Media-Präsenz dar, was Fans gefallen dürfte.

„Sie erleben einen Abend, der nicht nur die Autorin, sondern auch die, wenn man so will, zweite Hauptfigur des Romans würdigt – Mascha Kaléko.“

Rückmeldungen von Leser*innen zum Buch auf Instagram und Bluesky lassen den Schluss zu, dass Lorenz nicht wenigen aus der Seele spricht. Dass ihr Roman autofiktional und nicht autobiographisch zu verstehen sei, betont Lorenz jedoch auch in Freiburg. Der Zuneigung ihres Publikums schadet das nicht. Die Lesung in Freiburg ist ausverkauft; rappelvoll ist die Buchhandlung Schwarz im Stadtteil Wiehre. Inhaber Michael Schwarz zeigt sich überrascht, wie schnell die Karten verkauft worden seien.

Auch wenn ein, zwei Leseteile etwas kürzer hätten sein können, dürften es die Besucher*innen nicht bereut haben. Sie erleben einen Abend, der nicht nur die Autorin, sondern auch die, wenn man so will, zweite Hauptfigur des Romans würdigt – Mascha Kaléko. Zu Beginn jedes Leseabschnitts trägt Sebastian Reiß, ein professioneller Sprecher, das dazugehörige Gedicht Kalékos vor.

Lange Schlange

Moderiert wird die Lesung von Friederike von Wallmoden, die Anteil am Gelingen des Buches hat. Die Germanistin schlug als Praktikantin bei Lorenz’ Literaturagentin Barbara Wenner vor, dass Mascha Kaléko das verbindende Element zwischen der jungen und der älteren Elisa sein könnte.

Das funktioniert im Buch und wirkt auch auf der Lesung stimmig, nicht zuletzt, weil Reiß’ Rezitation der Lyrik Kalékos zum souveränen Auftritt der Autorin passt. Vielleicht kommt ihr dabei die Erfahrung als gelernte Buchhändlerin zugute. Dass Mit dir, da möchte ich Himmel Kaffee trinken ein Debütroman ist, merkt man seiner Autorin jedenfalls nicht an.

Wie gut ein Buch bei Leser*innen ankommt, lässt sich oft an der Länge von Signierschlangen sehen. In Freiburg ging sie bis zur Ladentür. ◆

Sarah Lorenz: Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken, Rowohlt Verlag, Hamburg, 2025.

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